Wenn der Kinderarzt in der Vorsorgeuntersuchung ein Baby an den Händen hochzieht, dann muss es richtig sein.
Hast du dich auch eingeladen gefühlt, zu Hause dasselbe zu tun?
Hast du auch erlebt, dass dein Baby dabei lacht oder etwas ‚mitmacht‘?
Was passiert eigentlich, wenn wir ein junges Baby an den Händen hochziehen? Ich spreche hier vor allem über Babys, die sich weder auf die Seite, noch auf den Bauch drehen, noch in der Bauchlage spielen können.
Junge Babys können den schweren Kopf nicht halten und überspannen beim Hochziehen
Der Kopf ist für ein Baby das schwerste Körperteil. Jedes Baby braucht Monate, um die gesamte Muskulatur derart auszubilden, dass der Kopf gehalten werden kann. Babys, die sich frei bewegen dürfen, entwickeln ihre Muskulatur organisch. Mit diesen Babys werden keine gezielten Übungen durchgeführt. Ihre motorische Entwicklung verläuft im eigenen Zeitmaß, in sicherer entwicklungsgemäßer Umgebung und in emotionaler Sicherheit.
Erst, wenn ein Baby in der Bauchlage entspannt spielen kann, können wir mit dem Hochziehen an den Händen kaum noch Schaden anrichten. Denn das zu frühe Hochziehen – wird es regelmäßig gemacht – führt zu einer Überspannung. Diese Überspannung ist ein Baustein einer schlechten Bewegungsqualität. Sicherlich verändert sich diese Überspannung im Laufe der Zeit. Doch das anfängliche Gefühl bleibt im Körpergedächtnis gespeichert.
Früher wurde der Kopf des Babys immer gestützt. Mütter machten ihre Töchter auf diese so wichtige Unterstützung aufmerksam. Das scheint heute verloren gegangen zu sein.
„Aber er lacht doch!“ – Das Hochziehen an den Händen als ein Baustein zu Schwächung der Integrität
Warum lachen dann die Babys? Wenn sie lachen, dann muss es ihnen doch gut gehen! Das Lachen ist vielleicht für dich ein Beweis dafür, dass du auf dem richtigen Weg bist und Anlass zu Wiederholungen. Jesper Juul war derjenige, der mit recht einfachen Worten erklären konnte, dass Kinder um jeden Preis mit ihren Eltern kooperieren. Sie sind bereit ihre Integrität auf’s Spiel zu setzen, um den Eltern zu gefallen, um sie zufriedenzustellen. Wenn etwas nicht stimmt, dann suchen sie die Schuld bei sich. Die lachenden Babys sehen ihre lachenden Eltern. Der Schmerz – verursacht durch die Überspannung -, die Angst, dass der Kopf nach hinten fällt, müssen also falsch sein. Mama lacht doch.
„In den meisten Fällen sind Kinder nicht in der Lage, ihre Integrität im Verhältnis zu ihren Eltern zu wahren. Was nicht bedeutet, dass sie in dieser Hinsicht nicht kompetent wären – sie sind sehr wohl in der Lage, Grenzen zu setzen -, doch neigen sie dazu, ihre eigenen Bedürfnisse zu missachten, wenn ihre Befriedigung zu einem Konflikt mit den Eltern führen würde. Stattdessen entscheiden sie sich dafür, mit ihnen zu kooperieren.“ (Juul: Dein kompetentes Kind)
Wird das Baby hochgezogen, bevor es sich selbständig aufrichten kann, kommt es zu einer Interferenz: Mein Empfinden stimmt nicht mit der Reaktion der Bezugsperson überein. Dr. Orphal spricht auf dem Kinder-in-Bewegung-Kongress über diese Interferenzen. Einigen wenigen Kindern wird das bestimmt nicht komplett schaden.
Ja. Einigen wenigen.
Die motorische Entwicklung von Babys in unserem Kulturkreis ist jedoch durchsetzt mit solchen Interferenzen: Das Üben der Bauchlage, das Setzen der Kinder in Hochstühle, bevor sie selbständig schrittweise zum Sitzen gekommen sind, das Führen der Kinder an den Händen, um die prominentesten zu nennen.
Verzichten wir auf diese Praktiken, bleibt die Integrität der Kinder erhalten und auch dein Kind wird mit einem gesunden Selbstgefühl aufwachsen.
Das Hochziehen der Babys an den Händen führt zu Störung des Sitzenlernens
Kennst du diesen Tipp? Man soll das Baby mit Kissen unterstützt halb hinsetzen, damit es sitzen lernt oder weil es ‚doch gucken will‘. Auch ich habe noch vor wenigen Jahren diesen Tipp auf einer Damentoilette von einer etwas älteren Frau gehört. Dabei lag mein Sohn zufrieden in seinem Kinderwagen und schaute sich um.
Werden die Babys immer wieder an den Händen fast zum Sitzen hochgezogen, prägen wir ihnen diesen Weg zum ersten Aufrichten ein. Dabei wissen wir seit über sechzig Jahren, dass Kinder das Sitzenlernen ganz natürlich über die Seite lernen (siehe das kostenlose Ebook „Schritte der Bewegungsentwicklung“).
Geben wir ihnen den Raum, sich selbständig aufzurichten, haben sie kein Bedürfnis in einer senkrechten Lage zu sein, bevor sie schrittweise das Sitzen gelernt haben.
Das Hochziehen der Kinder an den Händen zeigt also den Kindern eine äußerst anstregende und ineffektive Art und Weise zum Sitzen zu kommen und weckt vorzeitig das Bedürfnis, in die senkrechte Lage zu kommen.
Das Hochziehen der Babys an den Händen kann Spaß machen. Doch die Folgen können weniger lustig sein.